Gemeinsame Stuhlaktion an der Herschelschule Hannover
In den letzten Tagen erreichten uns erschreckende Bilder aus Griechenland. Nach einem Großbrand im Geflüchtetenlager Moria sahen sich tausende Menschen aus verschiedenen Nationen dieser Welt gezwungen, für unbestimmte Zeit auf der Straße zu leben. In den letzten Jahren mussten diese Menschen ohnehin schon Schweres erleiden; so lebten über 12000 Menschen jahrelang unter menschenunwürdigen Bedingungen in einem Lager, das einst nur für 2800 Menschen ausgerichtet wurde.
Doch was haben wir mit dieser humanitären Katastrophe zu tun?
Was können wir hier schon ausrichten?
„Sehr viel“, sagt Daniel Derscheid, Fachobmann für Musik an der Herschelschule Hannover, der gemeinsam mit Zoi Vasiliadis-Dogan zu diesem Anlass eine schulinterne Aktion durchführen wollte. „An unserer Schule lernen viele Kinder, die eine Zuwanderungsgeschichte haben oder sogar selbst Erfahrungen in Lagern oder Notunterkünften dieser Welt machen mussten!“, erklärt Daniel Derscheid.
Mehrere Organisationen, darunter Seebrücke, Sea-Watch und Campact, haben in der vergangenen Woche tausende weiße Stühle vor dem Reichstag in Berlin aufgestellt, um die Aufnahme weiterer Flüchtlinge, insbesondere aus griechischen Lagern, zu fordern. Gleichzeitig wurden Menschen medial dazu aufgerufen, ihre Stühle zu Hause unter dem Hashtag „LeaveNoOneBehind“ zu verlinken, um ihre Aufnahmebereitschaft und Solidarität den Geflohenen gegenüber auszudrücken.
Diesem Aufruf wollten die zwei Lehrkräfte der Herschelschule folgen und planten kurzerhand eine jahrgangsübergreifende Aktion, die gleichzeitig dem strengen Hygienekonzept der Schule in der Corona-Pandemie entsprechen sollte. „Wir wollten zeigen, dass das Weltgeschehen nicht an unserer Schülerschaft vorbeigeht und uns diese Bilder betroffen machen“, erklärt Zoi Vasiliadis-Dogan, die als Lehrerin für Deutsch und Französisch seit fast fünf Jahren an der Schule tätig ist.
So machten sich die Schülerinnen und Schüler am Mittwoch, dem 16.09.2020, an die Arbeit. In der 4. Stunde begann der Aufruf zur Aktion über die Lautsprecher. Altersgerechte Unterrichtsmaterialien zum Thema Flucht wurden ausgearbeitet und vorher an die Fachlehrkräfte verschickt. Im ersten Teil der Stunde sollten alle Klassen unter Anleitung der Lehrkräfte über das Thema Flucht sprechen. Viele Kolleginnen und Kollegen berichteten von rührenden Geschichten über Einzelschicksale von Schülerinnen und Schülern und von dem großen Interesse seitens der Schülerschaft, über dieses wichtige Thema zu sprechen und die Möglichkeit zu erhalten, offene Fragen zu stellen und in einen Dialog miteinander zu treten.
Im zweiten Teil der Stunde wurde den Schülerinnen und Schülern der 5. bis 10. Klassen die Gelegenheit geboten, eine eigene Botschaft auszuarbeiten. Die Kinder fotografierten in dieser praktischen Phase ihre eigenen Stühle des Klassenraums und positionierten auf ihnen Gegenstände wie Bücher, Nahrungsmittel oder digitale Endgeräte, die symbolisch für ihre privilegierte Situation stehen, Zugang zu Bildung, Nahrungsmitteln und alltäglichen Vorzügen zu haben. Andere Schülerinnen und Schüler schmückten ihre Stühle wiederum mit selbstgemalten Bildern oder Schriftzügen in verschiedenen Sprachen, die an die geflohenen Kinder gerichtet sind und eine offene Haltung ihnen gegenüber ausdrücken sollten. Viele Lehrerinnen und Lehrer berichteten von der großen Freude der Schülerinnen und Schüler selbst tätig zu werden und ihre eigenen Ideen, Gedanken und Gefühle kreativ umzusetzen.
Die Oberstufe der Herschelschule Hannover führte derweilen eine Aktion unter freiem Himmel durch. Mit Masken ausgestattet und unter Einhaltung von jeglichen Abstands- und Hygieneregeln positionierte jeder Schüler/jede Schülerin der 11. bis 13. Klassen seinen/ihren eigenen Stuhl nacheinander auf einem zuvor festgelegten Platz auf dem Schulhof. Die leeren Stühle ergaben in der Summe ein großes H für die Herschelschule sowie ein Herz, das die Solidarität der Schülerschaft gegenüber den Geflüchteten ausdrücken sollten. Jeder Stuhl stand symbolisch für die Wahrung von Menschenrechten auf dieser Welt unabhängig von Herkunft, Religion, Alter, Geschlecht und sozialem Status.
„Wir haben das Glück, in einem freien, demokratischen Land leben zu können und es tut uns allen gut, uns ab und andiesem Privileg bewusst zu werden“, sagt David Borges, Fachobmann für Sport, der in dieser Aktion die Chance sah, mit seinen Schülerinnen und Schülern in Austausch zu treten und über aktuelle Ereignisse dieser Welt zu sprechen. „Unsere Schule ist Teil eines Netzwerks von über 3300 Schulen mit der Zertifizierung einer Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage. Unsere Selbstverpflichtung innerhalb dieses Projektes ist es unter anderem, ein Mal pro Jahr ein Projekt zum Thema Diskriminierungen durchzuführen, um langfristig gegen jegliche Form von zwischenmenschlichen Herabsetzungen, insbesondere Rassismus, vorzugehen.“, fügt Zoi Vasiliadis-Dogan hinzu.
Unter dem Motto „Leave No One Behind“ wollte die Schule ihr Mitgefühl gegenüber allen Menschen ausdrücken, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und sich in einem anderen Land ein friedliches und erfülltes Leben erhoffen. Die Aktion war rückblickend ein voller Erfolg und hat alle daran Beteiligten zum Nachdenken angeregt.
Die Herschelschule möchte auch zukünftig für Menschenrechte eintreten und plant weitere Projekttage zu diesem Thema, um inhaltlich weiterzuarbeiten und auch das Interesse der Schülerinnen und Schüler an sozialem Engagement in der Gesellschaft zu wecken.
Wir sind viele, wir sind bunt, wir schauen hin – Leave No One Behind!